Das erste Mal, dass ich vom Acherkogel Nordwestgrat gelesen hatte, war in der Bibel HIMMELSLEITERN: Ein Buch, das Willichmachen- und Wennichmalgroßbin – Liste in einem vereint. Drei Tage zuvor dann die schockierende Nachricht: Der Autor des Buchs, Ralf Ganzthorn, war beim Klettern tödlich verunglückt. So wurde diese Tour eine Abschiedstour an jenen Mensch, der mich auf meinen Weg brachte, lange bevor wir uns das erste Mal trafen.
Gewitter ab zwölf. Oder zwei. Sicher ab vier.
Sicher auch: Sowohl während des langen Grates als auch im ersten, heiklen Teil des Abstiegs will man weder Regen noch Gewitter haben. So gar nicht.
Bleiben zwei Optionen: Nicht gehen oder früh gehen. Wer den Blog kennt, weiß: Zweiteres. Ohne Frage Zweiteres!
Bachwandern
4.15 Uhr der Wecker, 4.30 Uhr bereits unterwegs. Wortkarg wackelten zwei Stirnlampen in das unberührte Tal. Pitsch. Patsch. Dank der ausgiebigen Regenfälle mehr Bach als Weg. Noch dazu nicht sonderlich leicht zu finden.
Statt der erhofften Stunde wurden es eher eineinhalb – nie ein gutes Zeichen, wenn man schon im Zustieg langsamer ist als geplant.
Gratwandern
Mit verschlafenen Augen wanderte der Blick den Grat hinauf. Hinauf und hinauf. Lang sah er aus. Plattig. Und auch wenn wir es nicht richtig sahen, wussten wir: Dahinter steckt ein weiterer. Und dann eben besagter Abstieg. Hoffen wir mal, dass die Wetterprognose auf unserer Seite ist.
Wir zogen die Gurte an, machten uns an den ersten, leichten Teil. Seilfrei, es ist I-II-Gelände. Nach ungefähr fünf Metern genüsslichen Steigens stecke ich fest.
Hier hoch?
Wirklich?
Es kam mir schwer vor. Lag das jetzt an der Uhrzeit? An meiner langen Abstinenz zu Gneis? Oder doch schlichtweg an einem Verhauer?!
Keine zehn Meter gekommen und schon die erste Verzögerung. Ganz großes Kino.












Alles vorbei.
Ich schob mich einen wenig schönen Zug hinauf. Musste an Ralf denken. Ein Fehler und alles wäre vorbei. Ich gucke runter und bekam bestätigt: Alles wäre vorbei.
Danach cruisten wir uns ein, kamen endlich schnell voran. Erst als wir vor einem Bohrhaken standen, dessen Weiterweg auch auf den zweiten und dritten Blick nun wirklich nichts mehr mit II zu tun hatte, einigten wir uns darauf, dass wir womöglich an der Schlüsselstelle angekommen waren. So genau wusste man das in diesem Meer aus Felsgrat nicht. Das Topo brachte hier jedenfalls wenig Klarheit.
Plattenladies
Ins Seil gebunden wackelte sich Lena über die wahrhaftig seltsame Plattenstelle hinüber und robbte sich im Reitersitz bis zum nächsten Stand.
»Eklig!« entfuhr es mir beim Folgen. Wohl wissend, dass diese Schlüsselstelle zweigeteilt war und ich die zweite Portion abbekommen würde. »Platte«, stand im Topo beim zweiten Teil. Passt ja wie Faust auf Auge.
Kurze Hoffnung, dass Lena das übernehmen würde, wenn ich nur genügend jammern würde. Immerhin hatte sie keine einjährige Kletterpause hinter sich.
Während ich zu ihr gekrabbelt kam, überlegte ich schon, ob ich das Angebot annehmen würde. »Eher nicht«, um ehrlich zu sein. Natürlich bot sie es mir auch nicht an. Da hatten wir schon viel schwerere Touren zusammen geklettert. Noch dazu hatte ich die Tour ausgesucht. Und überhaupt, hallo? Das kann ich.
Diese Ausrüstung war mit dabei:
Der Kopf, der Kopf
Ein, zwei Seufzer brauchte es dann doch – nur um danach zuzugeben, dass es gar nicht so schwer war. »Eklig!« entfuhr es Lena dennoch im Nachstieg.
Klassiker.
Schon am Furkapass vor einigen Jahren waren wir jeweils von der anderen schwer beeindruckt, dass sie diese und jene Länge vorgestiegen war – nur um dann eine Seillänge später das gleiche über einen selbst zu hören.
Danach ging es jedenfalls wieder in den Cruise-Mode – zumindest so einigermaßen. Ausgesetzt und plattig war es, aber jede Stelle löste sich dann doch wunderbar auf.
Eine unschöne Überraschung
Und dann: Top of Maningkogel! Freier Blick auf den weiteren Grat: Lang sah er aus. Zwar keine IV mehr, aber dafür anhaltend ca. III. Während ich noch sinnierte, was genau jetzt eigentlich besser war, fiel mein Blick auf etwas anderes. Etwas, das man an so einem Grat nicht sehen will.
Gewitterwolken.
Morgens um acht?!
Ein Abbruch wäre hier ziemlich einfach möglich. Damit würden wir uns sogar den heiklen Abstieg sparen. Und bis jetzt war ja die Kletterei auch echt schön! Reicht doch eigentlich!
Und dann die Erkenntnis: Ich will da aber hoch. Eine freudige Erkenntnis, nicht allzu oft erlebt in den vergangenen Jahren beim Alpinklettern. Ein wichtiges Zeichen, dass wir motiviert und der Tour gewachsen waren.









Auffi!
Für die III-Stellen legten wir doch noch einmal das Seil an – Ralf hockte vor allem mir im Kopf. Trotzdem kamen wir flink voran und der Strick zahlte sich bei meiner unfreiwillig neu eingebauten Schlüssellänge dann mentaltechnisch durchaus noch aus.
Die Gewitterwolken wanderten. Näher, aber vor allem vorbei. Halleluja.
Der lange Weg nach Hause
Während wir den steilen Abstieg hinunterstiegen (sie) bzw. -krabbelten (ich), wurde mir langsam bewusst, dass es nicht sonderlich clever war, am Gipfel ausgiebig über den Tod von Ralf und einem heftigen Bergunfall einer Bekannten zu sinnieren. Ist es das alles wert? Muss das sein? Ist das nicht unfassbar egoistisch?
Bei Erreichen des rettenden Schneefelds dann die Klarheit: Ja, Bergsteigen ist egoistisch. Das Leid, dass man mit dem eigenen Tod durch das Hobby verursacht, ist rundum egoistisch. Andererseits: Es erfüllt so sehr. Ermöglicht ein intensives Leben, das einen eben dies – das Am-Leben-Sein – umso mehr schätzen lässt. Schafft Erfahrung. Und macht schlichtweg erst erträglich für die Umwelt im Tal.
Endspurt
Am Ende des helfenden Schneefelds dann die übliche Mühsal des Gegenanstiegs und die des Raushatschs. Ach, Gleitschirm. Bringen würdest du hier nichts, aber vermissen tu‘ ich dich doch.
Ralf. Dich auch.
Hier geht es zur Podcast-Folge mit Ralf Gantzhorn und hier zu seinem Buch HIMMELSLEITERN.

















The post In Gedenken… (Acherkogel Nordostgrat) appeared first on ulligunde.com.